Im Irrsinn des vollgepackten Saisonalltags hatten wir noch gar keine richtige Gelegenheit, unsere „Neuen“ auch abseits des Volleyballfeldes vorzustellen. Das soll nun endlich geschehen: Im langen SSC-Themeninterview erzählen uns Spielerinnen und Trainer mehr über sich und ihren Blick aufs Leben. Heute: Co-Trainer Martin Frydnes über Wurzeln, Opas Seefahrerblut und Traumziele.
Martin, du bist zwischen Norwegen, Schweden, Polen, Aserbaidschan und Deutschland schon weit rumgekommen. Wann bist du flügge geworden?
Mit 15 bin ich in Sand aufs Volleyball-Gymnasium gegangen, nach der Schule dann als Spieler nach Schweden.
Ist dir das Weggehen von Zuhause damals schwergefallen?
Nö. Meine drei Geschwister und ich sind alle früh ausgezogen. Nicht, weil unsere Eltern das wollten, sondern weil wir alle sehr selbstständig sind und Lust darauf hatten. Wir sagen immer, wir haben das Seefahrerblut von meinem Opa, der war immer unterwegs auf einem Schiff irgendwo in der Welt. Wir können nicht ein Haus kaufen und dort in Ruhe rumsitzen, wir sind Weltenbummler.
Fehlen dir keine festen Wurzeln, ein eigenes Heim?
Nein. Früher dachte ich, das wird mein Weg, Haus, Familie, Kinder, und vielleicht ist es irgendwann mal schön, das zu haben, auch wenn ich es mir jetzt schwer vorstellen kann. Noch bin ich sehr glücklich so und finde mein Leben spannend, jeden Tag was Anderes, viele Reisen. Ich bin ein Workaholic und will meine Energie zu 100 Prozent in meine Arbeit stecken. Nach Hause komme ich zu meinen Eltern. Ansonsten fühle ich mich immer dort wohl, wo ich gerade bin, egal ob Polen, Aserbaidschan oder Deutschland.
Wie schaffst du es, an so vielen unterschiedlichen Plätzen heimisch zu sein?
Ich finde Länder, Kulturen, Sprachen spannend, bin sehr offen für alles Neue und sehr anpassungsfähig. Ich habe auch früh gelernt, dass man immer die größte Herausforderung nehmen soll, weil man daran am meisten wachsen kann. In Aserbaidschan beispielsweise ist vieles ganz anders, da lernt man viel, für den Sport und generell im Leben. Es ist natürlich gut, wenn man gleich Anschluss hat, so wie ich mit Tore Aleksandersen in Polen. Ich bin aber auch nicht so der supersoziale Typ, der immer Gesellschaft braucht, ich kann gut allein sein. Die Sprache ist noch wichtig. Es ist nervig, wenn man sich nicht verständlich machen kann und die Leute einen vielleicht nicht ernst nehmen, weil sie denken, du bist weniger intelligent, wenn dir die richtigen Worte fehlen. Mit Englisch und Deutsch komme ich schon sehr weit.
Hast du trotzdem manchmal Heimweh?
Früher ja. Weil ich meine Schritte von Norwegen nach Schweden, zurück nach Norwegen, dann nach Polen usw. aber langsam gemacht habe, habe ich mich daran gewöhnen können, allein zu leben. Jetzt bin ich da zuhause, wo mein Bett steht.
Wie wichtig ist es als Profisportler, Flügel zu haben und an fremden Orten klarzukommen?
Für mich ist der Wille zum Umziehen einer der wichtigsten Punkte, sonst hat man es schwer, sich weiterzuentwickeln. Wohlfühlen ist auch wichtig, um Top-Leistung zu bringen. Jeder braucht dafür etwas anderes. Manches kannst du ändern, wenn es nicht passt, da kannst du deine Energie reinstecken. Wenn du mit anderen Werten und Kulturen gar nicht umgehen kannst, musst du es entweder durchziehen oder wieder nach Hause fahren.
Wohin in der Welt zieht es dich noch?
Wenn ich es mir aussuchen könnte, um Erfahrungen als Trainer zu machen, wäre Italien meine Wunschstation. Ich hoffe auch, dass ich nächsten Sommer durch unsere Kooperation mit Denso die Chance hab, Japan auszuprobieren.
Und abseits vom Volleyball?
Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Volleyball ist mein Leben, ich wüsste nicht, was ich sonst irgendwo soll.
Ein Land ansehen, reisen?
Dann wären meine Top 3 Australien, Neuseeland und Kanada mit den Rocky Mountains. In Norwegen haben wir zwar auch schöne Natur, aber die kanadische Wildnis ist bestimmt noch beeindruckender.
Bist du ein Naturtyp?
Ja. Wie viele Norweger hat meine Familie auch eine Berghütte. Da versuche ich immer hinzufahren, wenn ich Zeit habe, um die Batterien aufzuladen. Im Alltag hast du gefühlt tausend Aufgaben, um die du dich kümmern musst, aber dort geht es um Wasser holen und Holz hacken, um das Elementare. Da merkst du wirklich, dass du runterkommst und entspannst.
Martin Frydnes (30, 2,02 Meter), geboren im norwegischen Bergen, war schon auf dem Weg zum Profi-Volleyballer, bevor Ärzte ihm aufgrund seines Marfan-Syndroms (eine Bindegewebserkrankung, die das Herz schwächt) davon abrieten. Mit 20 Jahren wechselte Martin deshalb auf die Trainerbank von Top Volley Norge, übernahm dann von Tore Aleksandersen den Meisterverein Stavanger, mit 22 die Frauen-Nationalmannschaft und ging 2013 als Co-Trainer von Aleksandersen nach Polen, 2015 nach Aserbaidschan. 2016 kam er als Bundestrainer der DVV-Juniorinnen zum VCO Berlin – und 2018 als Co-Trainer nach Schwerin.
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